Man kann ewig schauen,
wie das Holz brennt, wie das Wasser fließt
und wie die Nachbarn ihre Gärten pflegen.
Das Erste, was ich sah, war der Nachbargarten. Wie aus einem Katalog: der perfekt grüne Rasen, ideal runde Buchsbäume und Blumen. So prächtig und wunderschön. Das gibt es nicht mal in jedem Laden.
In unserem neu erworbenen Garten herrschten Ameisen und in der Mitte klaffte ein Müllloch, das vor Jahren vermutlich ein Teich gewesen sein sollte.
Jeden Tag beobachtete ich unseren Nachbarn, der mit einer Pinzette seinen Rasen von Unkraut befreite. Wir dagegen wagten es nicht mal, auf unserer Terrasse einen Schluck Kaffee zu genießen und testeten eifrig ein Ameisenmittel nach dem anderen. Es half nichts, bis ich eines Tages trotz meines Stolzes an der Nebentür klingelte.
Nach Hause kam ich mit einem Fläschchen und zwei winzigen Tellern in der Hand. Als es dunkel wurde, ging ich in den Garten, stellte die Teller auf die Terrasse und tröpfelte die blaue Flüssigkeit hinein.
Zwei Tage passierte nichts. Als ich am dritten Tag ins Wohnzimmer herunterkam, traute ich meinen Augen nicht. Die ganze Terrasse war mit dunklem Sand belegt. Nicht mal die Risse zwischen den Steinplatten waren zu sehen.
Ich ging hinaus und musste beinah schreien. Das war kein Sand. Das waren Ameisen. Millionen von ihnen waren herausgekommen und gestorben. Wollten sie Abschied von der Welt und der Sonne nehmen? Oder wollten sie mir aufzeigen, wie viele Leben ich auf einmal genommen hatte? Ich wusste es nicht und fegte sie drei Tage lang von der Terrasse. Am vierten Tag waren wir endlich die einzigen Besitzer des Gartens.
Als ich eine Woche später unserem Nachbarn einen selbst gebackenen Kuchen lieferte, fand ich ihn wie immer im Garten. Fasziniert beobachtete ich, wie er zuerst mit einem kleinen Messer den grünen Rasen ausschnitt und dann mit einem Löffelchen ein kleines Loch schaufelte. Alle Reste platzierte er auf ein kariertes Tuch, das neben ihm auf dem Rasen lag.
Ich reichte ihm den Kuchen mit einem Dankeschön und wurde nachdenklich. Wir hatten bereits begonnen, unseren ehemaligen Teich loszuwerden. Die ausgegrabene Erde und hässliche Stücke schwarzer Folie lagen überall herum. Hätte ich mir auch karierte Tücher besorgen sollen?
Nachdem wir einen Monat später endlich all dieses Durcheinander aufgeräumt hatten, glitzerten bei uns im Garten viele schwarze Flecken. Es wird schon, dachte ich gelassen. Auf der Datscha in St. Petersburg hatte das Unkraut wie wild gewuchert und uns immer eine Menge Kraft gekostet.
Die Wochen vergingen, aber der Rasen war immer noch gescheckt wie eine Kuh. Wir hätten diese peinlichen Flecken bestimmt immer noch, wenn ich nicht eines Tages unsern Nachbarn dabei ertappt hätte, wie er Samen zwischen die Grashalmen streute. Säte er etwa Gras? Was würde bloß meine Oma sagen! Man kann Karotten oder Petersilie säen, aber Unkraut?!
Am nächsten Tag fuhr ich zum OBI und fand dort wirklich jede Menge Rasensamen: für den Spielplatz, für Sonne und Schatten, für den Mähroboter, pflegeleicht, schnellkeimend, dürreresistent … Ich nahm die Packung mit dem fröhlichsten Bild und eilte nach Hause. Noch einige Wochen später sah unser Garten tatsächlich viel heiterer aus. Es war nicht perfekt wie im Haus gegenüber, aber es war ein Anfang.
Der Sommer verging und eines Tages begrüßte mich unser Nachbar ausnahmsweise nicht aus dem Garten, sondern draußen von der Straße. Ich kam näher und sah, wie er mit einer elektrischen Schere liebevoll seine Hecke Stück für Stück rasierte und sie danach mit einer Bürste fegte. Seine Bewegungen waren so hypnotisierend rhythmisch, als ob er auf einem Musikinstrument spielte. Ich schüttelte den Kopf und schaute unsere Hecke an. Sie sträubte sich in alle Richtungen und hatte den halben Gehweg erobert. Ich mochte sie eigentlich so wie sie war: wild und kräftig. Doch in unserem Mietvertrag stand, wie ich mich plötzlich erinnerte, ganz deutlich: Heckenschneiden. Ich seufzte.
Am nächsten Samstag musste auch mein Mann seufzen. Die gekaufte elektrische Heckenschere war billig, hatte aber eine zu kurze Schnur. Das Verlängerungskabel, das mein Mann besaß, reichte auch nicht.
Nach der zweiten Einkaufsrunde schnitten wir endlich die ersten Zweige. Bei dem Nachbarn sah es so easy aus. Bei uns dagegen gewann die Hecke alle möglichen Formen, nur sie gerade schneiden konnten wir nicht. Wir stritten uns um die Schere und verbesserten, was der andere angerichtet hatte, trotzdem schafften wir es nicht, die bizarre Form der Hecke loszuwerden.
Als der untere Teil mehr oder weniger fertig war, holte mein Mann die Leiter und stellte sie vor der Hecke auf. Aber sie wackelte so mörderisch, dass wir uns nicht trauten, hochzusteigen.
Nach der dritten Einkaufsrunde wurden wir stolze Besitzer einer teuren Wunderleiter mit regulierbaren Füßen. Schwer zu sagen, was mich mehr beeindruckte: oben auf der Leiter mit einer schweren Schere in der Hand zu balancieren oder unter dem grünen Regen der Zweige meinem Mann Sicherheit zu gewährleisten.
Als wir – schon in der Dunkelheit – todmüde den Asphalt fegten und die neugierigen Blicke unserer Nachbarn im Rücken fühlten, stellte ich meinen Wunsch, in einem Haus zu wohnen, infrage. Aber die Russen geben nicht so leicht auf, dachte ich.
Am Eingang besaßen wir ein hoffnungsloses, mit Moos bedecktes Grundstück. Den ganzen Sommer hatte unser Nachbar alle meine Bemühungen, dort etwas zu pflanzen, mit einem spöttischen Lächeln beobachtet. In meinem Kopf gärte ein Plan.
Am Montag ging ich durch alle Garten-Center in der Nähe und besorgte mir mit russischer Verschwendungssucht Hunderte von Tulpen- und Narzissenzwiebeln, die ich verzweifelt in das Moos auf der Wiese steckte.
Als die Sonne die Erde im Frühling wärmte, verzauberte er das kleine Grundstück, sodass es nicht mehr zu erkennen war. Prächtige Tulpen und Narzissen aller Art wuchsen in wilder Schönheit und bildeten einen bunten Teppich. Am Flieder hingen viele selbst gemachte bunte Eier und aus den grünen Halmen spähten langohrigen Tierfiguren.
Die ganze Nachbarschaft kam regelmäßig, um unseren kleinen Vorgarten zu bewundern. Und das erste Mal seit unserem Umzug grüßte unser Nachbar uns ohne sein selbstbewusstes Grinsen.
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