Reise in das Unbekannte

Das erste Mal, dass ich ins Ausland fahre, um dort zu arbeiten. Der Zug ist bequem, ich bewege mich trotzdem ständig. Ich lehne mich nach hinten, ich lehne mich nach vorne. Ich lege meinen Kopf auf den Tisch. Finde aber keine Ruhe. Ich schaue aus dem Fenster: eine Station folgt der anderen. Ich bin Ungarn immer ferner. Meine Beine fangen an, leicht zu zittern, durch meinen Körper läuft ein kaltes Gefühl, mein Hals wird trocken.


Ich denke an die Nachricht, die ich neulich in der Zeitung gelesen habe: ein Zug, der durch Europa fuhr, entgleiste. Niemand wurde schwer verletzt, aber der Zug konnte nicht weiterfahren. Wenn auch jetzt sowas passieren würde…Ich müsste dann zurück nach Ungarn. Mein Chef würde es verstehen. Was kann man gegen einen Unfall tun? Ich zittere weiter. Kann es sein, dass ich krank bin? Vielleicht sollte ich den Job absagen. Krank kann man nicht arbeiten. Vielleicht füge ich hinzu, dass es etwas Ernstes ist… Eine Blinddarmentzündung. Sie würden es verstehen und mir sogar ins Krankenhaus Blumen schicken.


Ich ziehe meinen Arbeitsvertrag aus dem Koffer heraus. Ende der Beschäftigungszeit: 15. April. Vier Monate. Vier Monate an einem Ort, den ich nicht kenne, unter Menschen, die ich kaum verstehe und die ich nie getroffen habe. Ich kriege Panik. Ich rufe meine Freundin an und sage ihr, dass ich sofort zurück will. Sie versucht mich zu beruhigen: „Alles wird gut, du bist schon fast da.“ Ich wähle unzufrieden die Nummer meiner anderen Freundin. Sie sagt das gleiche. Das kalte Gefühl in meinem Körper verwandelt sich in Wärme. Von der Aufregung fange ich an zu schwitzen. Keiner sagt was ich wirklich hören will: „Scheiß auf die Arbeit, steige sofort aus und nimm einen Zug zurück nach Ungarn.“


Nach sieben Stunden komme ich in Österreich an. Ich soll einen Bus nehmen, der mich zum Hotel bringt. Stattdessen renne ich zu einem Ticketautomaten, um zu prüfen, wie ich nach Ungarn fahren kann. Es ist 9 Uhr am Abend. Es gibt keinen Zug mehr. Ich setze mich an den Rand des Bürgersteiges und fange an zu weinen. Vor meinen verschwommenen Augen erscheint der Bus Nummer 101. Ich steige hoffnungslos ein. Ich bin eine Gefangene, die ihrem Todesurteil nicht entkommen kann. Ich ergebe mich und  lehne meinen Kopf gegen das Fenster. Straßenlichter, Dachschnee, Weinachtsdekoration sind draußen. Und ein Schild, darauf rote Buchstaben: Herzlich Willkommen.

Foto: www.pixabay.com

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