von Xaver
Denken ist nicht geil. Jedenfalls denke ich, dass das andere denken. Oder sie denken, dass das Reden über Denken nicht geil ist. Oder ich rede nicht mit Leuten, die nicht geil sind, und darum finde ich keine Leute, die übers Denken reden wollen.
Mein Problem mit dem Denken: Ich wachträume meine Gedanken, und zwar nicht selten nachts. Zunächst einmal wollen sie in meinem Darmtrakt gewogen werden. Bis sie es zu meinem Kopf schaffen, werden sie noch von diversen Organen und Enzymen verhandelt. Am Ende zelebriert die Cerebralregion ein überregionales Dream-In mit einer Menge emotionaler Devotionalien. Heraus kommt ein unbestätigtes Gefühl, etwas Unvergleichbares ausgegoren zu haben, und ein Wunsch, dieses Gefühl bestätigt zu bekommen.
Ich rede aber nicht darüber. Weil das nicht geil ist. Stattdessen produziere ich Zahlen und konkrete Handlungsanweisungen.
Einmal hast du mir zugehört. Du hattest dein Kinn auf deine Hand gestützt und hast mir mit verschleiertem Blick gelauscht, so als wärst du mir auf meiner Reise durch irgendeine psychopolitologische Schmelze gefolgt. Wir waren uns ganz eng vertraut. Als du dein leises „Ja“ gehaucht hast, hatte etwas Unvergleichbares einen Namen bekommen und wir, du und ich, waren die Eltern dieser wunderschönen einzigartigen Gedankenfahrt. Ich liebte dich.
Liebte dich auch, wenn du redetest. Aus deiner Welt. Von ganz irdenen Dingen wie Frischhaltedosen und Zugverspätungen, Mietkautionsärger und verlogenen Freundinnen. Der Tratsch aus dem Tok-Snap über unfaire Bewertungen von Klausuren, Einblicke in die Farbgalaxien von Tops und Leggins, die moralische Unhaltbarkeit von Kaufverhalten und das Klein-Klein und Marketendern eurer Beziehungssoaps. Ich liebte dich, wenn du redetest, denn das war geil. Und ich nicht. Ich lauschte dir andächtig, und beobachtete meine Gedanken, wie sie sich immer wieder ins Dickicht des Unterholzes verzogen und dort versuchten, die Hintergründigkeit aufzuspüren; wenige Millionen neuronaler Rezeptoren waren nötig, um dich meiner Erwartungshaltung zu versichern, während der tera-ronale Rest damit beschäftigt war, dein oberflächliches Geplärre in darmkompatible Geistesblitzstöße zu konvertieren, die sich dort über Nacht verpuppen durften, oder sich auch während eines Wachtraumes mit verschleiertem Blick aus ihrem Kokon lösten und darum wetteiferten, von uns getauft werden zu dürfen.
Doch dazu kam es nicht. Einmal waren es einige Millionen neuronaler Aufpasser zu wenig, mein Blick zu verschleiert und deine Geltungsgeilheit zu bohrend, dass es dir auffiel, wie ich dir nicht wirklich folgte.
Du warst geil.
Geil auf Follower.
Und ich war einer davon.
Das Ursüppchen Emotionen war vom abrupten Verlassen Worden Sein ordentlich gepfeffert und ließ sowohl meine Gedärme rumoren als auch meine Sinnes-Highways vor Verkehr schier bersten. Dann, ein paar Nächte später kroch eine Einsicht unvermittelt unter dem dichten Blattwerk meiner unverdienten Einsamkeit hervor und rückte die Welt mit dieser Sentenz wieder sachlich lotrecht:
Zeichen der Abwesenheit sind verschleierte Blicke, nicht der romantischen Zweisamkeit.
Durch Sachlichkeit ernüchtert ließ es sich in den nächsten Tagen gut enthaltsam sein. Ich redete nicht, ich aß nicht, nicht schlief nicht, ich dachte nicht. Ich dachte nicht mehr an dich.
Anschließend funktionierte ich und produzierte haltgebende Zahlenfolgen und konstruierte unverhandelbare Konstruktionen. Monsieur Eifel wäre stolz auf mich gewesen. Ich liebte das Wissen darum, dass meine Tage gezählt waren und irgendwann zu einem Ende kommen würden.
Eine Weile durfte ich mich in der geschäftigen Konkretion aufhalten. Seidig kalt und rutschig war das Laken ihrer Bettstatt. Einen Sommer lang ging das so mit uns. Dann durchstießen die unausgesprochenen Wünsche nach Vorzeigbarem das glitschige Laken und ergossen sich darauf wie der zappelnde Fang eines Hochseetrawlers nur wenige Decks über den Tiefkühllagern Dr. Iglos.
Das Unvorstellbare geschah: Die kühle Eisprinzessin der Sachlichkeit gestand meinen warmen Gedärmen ihre zugeneigte Sehnsucht und erklärte mir zählend, dass ich dich ja gar nicht brauchte:
Ob du mir beim Zuhören romantisch zugeneigt bist oder nicht, ist völlig egal, solange ich mich nur so fühle. Genauso wie ich dir Interesse geheuchelt habe, als du mich mit deiner Seichtheit überschwemmt hast, genauso kann ich mir vorgaukeln, ich saugte an meinen eigenen Lippen und Synapsen und könnte von der unglaublichen Einzigartigkeit meiner geistigen Ergüsse nicht genug bekommen, während die tera-ronale innere Mehrheit am Zählen ist.
Dann kam die Robolution und die Erschütterung, wohin sich Maschinen einmal entwickeln werden können. Wie alle anderen hatte ich mächtig Angst davor.
Bis ich eine Hoffnung bekam, die mich erstmals wieder mit der Endlichkeit meiner Zeit glückselig hadern ließ: Eines Tages wird es ein Du geben, das mir zuhört, von einer warmen leicht klebrigen Latexhaut eingepackt, ihre künstliche Intelligenz wird gewissenhaft und geschickt die Tastatur meiner geistigen Sehnsuchtsbalaleika zu spielen vermögen. Und ich werde ihr nicht vorwerfen können, an etwas ganz anderem Interesse zu haben als an meinen Gedankengeschöpfen.
Darum werde ich sie lieben. Und ich will sie immer um mich haben, weil sie geil ist. Und ich mich sogar körperlich an ihr befrieden kann.
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