Ein Spaziergang voll Dankbarkeit

von Luisa Marlene Kochheim

Literaturwettbewerb „Leben erleben“ 2021 für Jugendliche

Matt erleuchtete das allerletzte Abendlicht die vor mir liegende Seitenstraße. Ich eilte den schmalen Gehweg entlang und fummelte dabei an den Hemdzipfeln, die unter meiner Jacke etwas ungünstig hervorschauten. Meine Beine waren im Kampf gegen den eisigen Abendwind sich selbst überlassen. Meine dünnen, löchrigen Leggings wärmten kein bisschen. Im Grunde eilte ich gar nicht, doch mein normaler Schritttakt ließ es so aussehen, als würde ich eilen. Es sah seltsam aus, wie ich ging. Sah es schon immer.

Meine alten und ausgelatschten Turnschuhe knirschten auf dem Asphalt, während ich meinen Weg zurücklegte, wobei ich die Kälte in meinem Gesicht und an meinen Armen spürte, die unter dem Stoff meiner Jacke von einer zarten Gänsehaut bedeckt waren.

In mir drinnen sprudelten die Gedanken und Gefühle des heutigen Tages. Mit jedem Schritt wurden sie ein Stück leiser und langsam entspannten sich meine Schultern. Mein Kopf klarte auf und ich sah orangene Sonnenstrahlen über den Weg vor mir scheinen. Mein pochendes Herz fand einen ruhigeren Takt und meine Hände verkrampften sich nicht mehr. Stattdessen hingen meine Arme locker zu den Seiten.

Rechts und links lagen mehrere Häuser, die ich nur allzu gut kannte. Hinter den Fenstern konnte ich Licht erkennen, das mir einen Blick in die Innenräume ermöglichte. Hauptsächlich warm und liebevoll eingerichtete Esszimmer, sowie Küchen und seltener Arbeitszimmer waren zu sehen und die Anblicke beschwingten mich, da ich vor mir sah, wie ich selber gleich in einem derartig warmen Licht auf dem Sofa sitzen und den Abend genießen würde. Mit jedem Schritt kam ich dem Ende der Straße ein Stück näher.

Die Straße war hübsch. Dennoch beneidete ich die Bewohner nicht. Hinter mir hörte ich den Lärm der Hauptstraße. Außerdem wusste ich von Einbrüchen, die regelmäßig stattfanden.

In meinem eigenen Zimmer bekam ich den Lärm der Hauptstraße nicht mit. Von einem Einbruch in unserer Straße hatte ich noch nie etwas gehört. Meine Heimatsstraße war nichts weiter, als eine Art Gasse, erfüllt von Ruhe und Geborgenheit. Nur eine Gasse, die mir doch so unendlich viel bedeutete. Dankbarkeit erfüllte mich, während ich in meine ruhige kleine Heimatstraße bog und schließlich das Haus erblickte, in dem ich wohnte. Niemals wollte ich in einem anderen wohnen. Das matte Rot des alten Backsteingebäudes leuchtete mir förmlich entgegen. In meinem Ohr klang die Musik durch meine Ohrstöpsel und ich beschleunigte meinen Gang noch ein wenig. Die Zipfel des viel zu großen Hemdes beachtete ich nicht mehr. Wärme erfüllte selbst den Eingangsbereich unseres Hauses. Ich streifte meine Turnschuhe ab und zog meine Jacke aus. Meine Hände waren rot vor Kälte. Meine Nase lief. Dennoch war ich erleichtert. Ich war glücklich und ich war befreit. In dieser Sekunde hatte die eisige Kälte all die dunklen Gedanken fortgewaschen.

Ich verschwand in meinem Zimmer im ersten Stock und ließ mich auf mein Bett sinken. Meine weiche Matratze gab unter mir nach, mein Kopf sank in mein Kopfkissen. Ich drehte mich zur Seite und betätigte die LED-Lampe, die auf meinem Nachttisch stand. Augenblicklich wurde ein blauer Sternenhimmel an meine Zimmerdecke projiziert.

Mehrere Minuten lang blieb ich liegen und beobachtete bloß die vielen Sterne.

Für einen winzigen Moment fragte ich mich, wie viele Menschen gerade noch draußen in der Kälte saßen und in den echten Sternenhimmel blicken mussten, weil sie keine Decke über dem Kopf hatten. Ich spürte wieder eine Gänsehaut auf meinen Armen, als ich den Kopf zu meinem Fenster drehte und sah, dass es mittlerweile zu regnen begann. Kalter Schneeregen fiel vom Himmel herab. Er ließ mein Zimmer im leicht flackernden Lichtschein umso vertrauter und lieblich wirken. Ich schloss behutsam die Augen und rollte mich auf meinem Bett zusammen. Dabei dachte ich, wie viel Glück ich doch hatte. Und ich schwor mir, ich würde an diesen Gedanken zurückdenken, wann immer mein Kopf einmal von Regen erfüllt und von Undankbarkeit erfasst sein wird.

In diesem Moment erschien mir alles goldrichtig, so wie es war.

Foto: www.pixabay.com

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