Lebenszeit, die immer zurückbleibt

von Paul Fehlinger

Literaturwettbewerb „Leben erleben“ 2021 für Jugendliche

Manchmal ist es nur ein Zug von der Zigarette, draußen vor der Haustür in der Mittagswärme, und du merkst, wie die Luft knapper wird und weißt nicht wieso. Das Frühstück zu zweit. Vorhin war doch schön gewesen. Doch jetzt schluckst du schwer, du röchelst. Dein Hals ist zugeteert, ein Gefühl wie von schweren Klumpen, die sich festgesetzt haben und alles verstopfen und verengen. Dann das erste, richtige Anzeichen von Ersticken. Da ist gar keine Luft mehr. Das sind nicht nur Kopfschmerzen. Irgendetwas stimmt hier nicht, und vor allem stimmt etwas mit dir nicht.

Aber du rauchst weiter, deine Freundin auch, es legt sich bestimmt gleich. Dabei schaut sie dich besorgt an, aber nicht besorgter als sonst. Du schaust nur sinnlos nach vorne, in die Hecke, in die Leere. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, Nachbarn schreien und deine Kehle verteert, verschlossen. Keine Luft. Keine. Nun ein Brennen in den Augen. Könnte ich jetzt noch witzig bleiben, würde ich sagen, dass meine Augen schwitzen. Aber da ist kein Witz mehr.

Ich kann auch nicht mehr sprechen, reden; die Mundhöhle eine urplötzlich eine Wüste. Ich kann nur schwer schlucken. Auch das klappt nicht richtig. Sie fragt, ob sie meine Zigarette mit zum Aschenbecher nehmen solle, ich könne ja schon hochgehen. Sie erahnt wohl, – wenn auch nicht genau was – dass etwas nicht stimmt, obwohl eben alles normal schien.

Ich nicke stumm, unfähig zu reden; öffne die Tür. Ich schmeiße meine Schuhe in die Ecke, gehe die Treppe hoch. Dann bewege ich mich schneller, da ich merke, dass ich ein Kissen brauche; und eine weiche Decke, die ich an mich drücken kann. Ich sehe schon das Zimmer, falle aufs Bett. Vielleicht sind es nur ein paar Tränen; sie sind schon da. Ich presse das Gesicht ins übergroße, weiche Kissen, krümme meine Knie zum Kinn; klammere mich an die Decke, als könnte jemand sie mir wegnehmen. Es sind nicht nur ein paar Tränen. Ich schluchze, schreie jetzt. Ich hacke mit dem Schienbein auf das Bettende ein; wie zum Töten. Es tut nicht weh. Nur alles tut weh.

Ich bin wieder ein Kind; ein verletztes. Und ich kann nicht aufhören, wie ein Kind zu weinen. So krampfhaft. Auch als sie endlich ins Zimmer kommt, und sich sanft an mich schmiegt, hört es nicht auf. Es wird nur schlimmer. Ich schluchze, schreie, schlage ins Kissen, erst wahllos, dann mit der Faust und wie im Automatismus gefangen; mit der anderen Hand umfasse ich locker ihre Finger. Doch es hilft nicht. Ich kann nichts tun, vermute ich ins Kissen weinend, um damit aufzuhören. Ich weine, wühle mich durch die Kissen, Decken und Kuscheltiere; schlage gegen die Wände, ohne Verletzungen zu spüren; zerre an meiner verdorbenen, nichtsnutzigen Haut eines sinnlosen Menschen und schluchze und schreie. Wenn ich doch nur wüsste, was ich da brülle; brülle wie ein Kind. Ich kann nichts tun, ich weiß nicht, was ich da tue, ich weiß nur, dass ich Kontrolle verliere; und das Schreien wird lauter. Was zur Hölle schreie ich da?

Als ich wieder zum Bewusstsein komme, liegt sie neben mir; ihre Arme sind um mich gelegt.

„Warum bist du so traurig?“, fragt sie.

„Ich weiß nicht… Das Leben hinterlässt Spuren… Und noch Schlimmeres…“

Foto: www.pixabay.com

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