von Georg Schutting
Literaturwettbewerb „Leben erleben“ 2021 für Jugendliche
Der Strebsame beobachtet, auf einer Strandliege sitzend, das aufgewühlte Meer. Die Wellen, unterschiedlich hoch und schnell dringen bis einige Meter vor das Bein der Liege, dann wieder, ganz überraschend bis einige Dezimeter hinter sie. Der resignierte Student betrachtet sie mit analytischem Blick, doch es ist kein Zusammenhang zwischen Höhe, Geschwindigkeit, Volumen sowie Windstärke und der Weite, der die Wellen den Strand emporklimmen festzustellen.
Die Gedanken triften ab. Der Blick des scheidenden Schülers beginnt sich zu trüben; schwere Entscheidungen stehen an. Doch dies entspricht nicht den Tatsachen – er nimmt sich zusammen – alle Entscheidungen wurden bereits, nach gründlicher Überlegung und nahezu einmaliger Freiheit seiner Eltern seitens entschieden. Er werde nach Wien gehen, um dort Publizistik und Politikwissenschaft zu studieren. Zusätzlich Karriere fördernde Treffen wurden bereits, höchst erfolgreich, arrangiert; nicht von seinen Eltern oder Verwandten – sondern von ihm selbst. Darauf legt der junge Mann besonders wert. Er steigt nicht in die Fußstapfen jemandes; er ist seines eignen Glückes Schmied. Er ist achtzehn Jahre alt und bereits erfolgreicher, als alle seine Freunde – ihm steht eine goldene Zukunft bevor.
Der Wind wird nicht stärker, die Wellen dringen dennoch weiter vor. Der Strebsame beobachtet dies mit Unbehagen. Er kann es nicht verstehen!
Alles kommt ihm unwirklich vor. Klein. Unbedeutend. Besonders er selbst. Er versucht seine Gedanken in die der Logik entsprechenden Bahnen zu lenken, doch scheitert er. Wozu eine Karriere; Freude und Glück habe er bereits. Doch auch dies erscheint ihm zunehmend gleichgültig. Irrelevant. Das darf nicht sein! Wie sehr er sich wehrt; wie sehr er solch nihilistisches Gedankengut verabscheut! Er sagt sich vor: „Der Sinn des Lebens ist der Grund, warum ich nicht sterben möchte“ – um alle Gedanken der Lebensüberdrüssigkeit zu vertreiben. Sind diese Gründe seine Freunde? Eigentlich nicht, er weiß, dass er auch ohne sie könnte. Dann die Karriere! Doch diese erscheint ihm immer noch klein und unbedeutend. Konklusion: Er muss diese nur mehr vorantreiben, bis er so mächtig wichtig und geliebt ist, dass die Welt nicht mehr ohne ihn kann. Doch auch die Welt wird enden; und auch die Menschheit – das weiß er.
Der Seegang nimmt zu. Eine Qualle mit mindestens zwanzig Zentimetern Durchmesser wird an Land gespült. Die rot-orangene Kuppe wird von einer durchsichtigen, gallertigen Substanz umringt. Der junge Mann nimmt seinen Schlappen und befördert das Ungetüm, weg von ihm, wieder in das weite, dunkle Meer.
Er darf sich nicht in der Melancholie verlieren! Diese, so wie Trauer oder Schmerz im Allgemeinen haben noch nie etwas gebracht. Nur Faulheit und diese führt ins Verderben. Der Strebsame denkt sich in die Rolle des ihn betrachtenden und befindet sich selbst als lächerlich. Melancholie im Generellen ist etwas Erbärmliches. Für Menschen, die es nicht schaffen, glücklich zu sein. Es hilft ihm. Die stärkste Waffe gegen Melancholie oder alles Behindernde überhaupt ist nun mal der Zynismus.
Der Wellengang legt sich und der junge Mann genießt die herrlichen Sonnenstrahlen.
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