Zwei Menschen stiegen an einem Wintertag in dem Dörfchens Huashan aus dem Zug. Eine junge Frau und ein junger Mann. Ein Bahnhofsvorsteher, der flauschige Ohrenschützer und eine Fellmütze trug und sich in einem dicken dunkelblauen und formlosen Mantel eingewickelte, war der einzige Mensch am Bahnsteig. Sie fragten ihn nach dem Weg nach Huashan und liefen los.
Sie gingen auf der breiten Straße, die schnurgerade zum Tor des Bergs führte. Am Eingang klopften sie an das Fenster des Ziegelsteinhäuschens zwischen zwei Türen. Drinnen saßen zwei Frauen einander gegenüber, um einem glühenden Kohleofen herum, eine strickte und die andere knackte Sonnenblumenkerne zwischen den Zähnen. Die strickende Frau hörte mit ihrer Arbeit auf und schob das Fenster auf, nur so weit, dass sie eine Hand durchreichen konnte. „Zwei Tickets, bitte!“, sagte der junge Mann. „20 Yuan“, sagte die Frau. Er gab ihr zwei zehn Yuan Scheine und sie ihm zwei Tickets und schob sofort das Fenster zu. Dann erinnerte sie sich an etwas, machte das Fenster wieder auf und rief ihn zurück. „Können Sie bitte hier unterschreiben, nur um zu sicher zu gehen, dass wir für Ihr Leben nicht verantwortlich sind und Sie wissen, wie gefährlich dieser Berg ist“, erklärte sie ihnen. Die beiden unterschrieben. „Sie sind zwei von fünf Leuten heute in den Bergen. Es gibt eine Unterkunft oben neben dem Tempel, wenn Sie übernachten möchten. Seien Sie vorsichtig!“, sagte sie knapp und schob das Fenster wieder zu.
Die beiden lachten über diese einfache Frau und ihre Warnung. Von Gefahr wussten sie nichts. Sie waren Studenten an einer Universität in der Stadt, schick angezogen, genauer gesagt, zu dünn angezogen, der Mann trug einen kurzen dunkelgrünen Mantel und die Frau einen braunen, beide aus Wolle. Sie liefen mit Leichtigkeit bergauf. Es fing an zu schneien. Die junge Frau, die einen Rucksack trug, war aufgeregt und fing Schneeflocken, die auf ihrer Hand schmolzen. Bald wurde der Berg und die Tannenbäume von Weiß bedeckt. Sie lief herum wie ein Lamm mit ihrem lockigen Haar. Der junge Mann, der nichts trug, machte Fotos von ihr: auf einem Hang, auf einem Felsen, neben einer alten Tanne, oder einen Kuss mit einem Haufen Schnee in beiden Händen.
Ihnen entgegen kam ein mittvierzigjähriges Paar bergab. Sie sagten „Hallo“ zueinander. Das ältere Paar war in ein Gespräch vertieft. Der Himmel wurde finster. Der Berg, wie eine weiße Gestalt, ragte empor. Treppen, tausend oder zehntausend, führten steil bergauf. Der junge Mann atmete schwer, die junge Frau nicht. Sie spornte ihn an, weiterzugehen, um das Gasthaus vor der Dunkelheit zu erreichen. Windung um Windung. Die Treppen verschwanden und ein Pfad stieg senkrecht auf. Sie mussten sich an den Ketten aus Eisen festhalten. Alles war von Schnee verschwommen. Es gab wenige Bäume zu sehen. Die Dunkelheit kroch zwischen Felsen. „Wie weit ist der Tempel?“, fragte der junge Mann. Die Frau antwortete, „Bald da, wir müssen uns beeilen“. Die beiden waren trunken von Schweiß. Mit brennenden Wangen kletterten sie schweigend weiter. Ein Weg aus Holzbrettern, nur breit genug für eine Person, war in den Felsen geschlagen worden. Die junge Frau drückte die Hand des jungen Mannes und sagte, „Gleich sind wir da. Aber sei vorsichtig! Halt dich fest! Langsam!“ Sie schlängelten sich an den Felsen entlang und der Schweiß tropfte auf das Gesicht. Nach der Windung war eine Lichtung. Der Tempel entfaltete sich im Nebel, schwankend an der Spitze eines Hangs. Nebenan war ein Gebäude aus grauem Ziegelstein. Ein Schild „Gasthaus Huashan“ in Rot hing über der Tür. Die zwei hasteten zum Gebäude.
Als sie durch die Tür traten, knurrte ihnen der Magen. Im Restaurant bestellten sie Nudelsuppe, das einzige angebotene Gericht. Außer dem Koch gab es einen Mann an einem anderen Tisch am Fenster. Jetzt war es draußen stockfinster. Nach dem Essen gingen die beiden in ihr Zimmer und schliefen sofort ein.
Am nächsten Morgen hörte es auf zu schneien. Nebel zog über die Berge. Freistehende Felsen ragten aus dem dichten Nebel heraus. Die zwei machten ein paar Schritte, ihnen war, als stünden sie über den Wolken. Die junge Frau wollte zum Gipfel klettern. Um das zu schaffen, musste sie eine Holzbrücke zwischen zwei Felsen überqueren, unter der ein unsichtbarer und endloser Abgrund gähnte. Der junge Mann zögerte. Dann sagte die Frau, „Ich gehe allein, um zu schauen. Du wartest auf mich“. Sie trat auf die schaukelnde Brücke. Sie lief schnell hinüber auf die andere Seite und blieb dann vor Entsetzen stehen. Vor ihr führte ein schmaler Weg im Zickzack steil am Rücken des Berges hoch hinauf in den Nebel, ohne Schutz an beiden Seiten. Sie spähte, versuchte ein paar Schritte zu gehen, rutschte aus und griff nach einem Stein. Ihr Gesicht blass. Sie drehte sich um. In diesem Augenblick blies der Wind Schnee in ihre Augen. Sie verlor das Gleichgewicht, strauchelte. Sie schrie laut auf, griff nach dem Geländer und blieb stehen. „Bitte warten Sie, bis der Wind vorbei ist!“, schrie dieser andere Gast aus dem Restaurant, der neben dem jungen Mann stand.
Zwei oder drei Minuten stand sie auf der schwankenden Brücke. Als sie wieder auf festem Boden stand, hielt der junge Mann sie fest. „Lass uns in die Stadt zurückgehen!“, sagte er. „Aber das geht momentan nicht. Sie müssen warten, bis der Nebel sich aufklärt“, erklärte der Mann. „Sind Sie allein hier?“, fragte ihn die junge Frau. Der Mann schwieg und runzelte seine Stirn. Er war vielleicht zwei oder drei Jahre älter als die beiden. Er hat ein männliches Gesicht wie ein Terrakottasoldat, ein ausgemergeltes Gesicht. Da traf sie ein Blick des Mannes, so nachdenklich, so unfassbar und leuchtend. „Na ja, wir kommen hier aus der Langweile in den Ferien. Wir sind Kommilitonen an der Universität“, fuhr der junge Mann fort. „Ich komme nicht aus Langweile hierher“, antwortet der Mann zornig. „Na, und, selten kommen die Leute in dieser Saison hierher“, sagte der junge Mann.
„Letztes Jahr waren meine Freundin und ich hier. Es hat auch geschneit wie gestern. Auch um diese Zeit, auf dieser Brücke. Sie winkte mir zu, ein leichtes Lächeln und sprang hinunter. Ich hörte mich schreien. Ich lief zu ihr und sah ihren Schatten fliegen“, sagte der Mann leise wie in Trance. Die beiden waren erfroren und niemand sprach für eine Weile. „Dieser Koch hielt mich. Sonst wäre ich ihr gefolgt. Danach suchten wir sie für eine Woche am Fuß des Berges. Sie wurde nie gefunden“.
„Vielleicht hat sie das Gleichgewicht verloren?“, fragte die Frau. „Ihr Professor hatte sie vergewaltigt. Sie hatte sich über ihn beklagt, aber niemand glaubte ihr, nicht einmal ihre Eltern. Ich habe ihr geglaubt und sagte, ich würde ihr zur Seite stehen. Trotzdem …“, abrupt drehte er um und rannte zum Gasthaus zurück.
Am Mittag lösten sich die Wolken auf. Die junge Frau und der junge Mann zahlten die Rechnung und verließen das Gasthaus. Der Mann stand wieder neben der Brücke und schrieb etwas in ein Heft. Sie gingen zu ihm, um sich von ihm zu verabschieden. „Passen Sie auf sich auf. Hier ist unsere Adresse.“, sagte die junge Frau. Die zwei Männer schüttelten die Hände. Bevor sie weggingen, sagte er plötzlich, „Sei mutig bergab. Zu leben ist schwieriger als zu sterben!“.
Die beiden sprachen nicht so viel auf dem Weg bergab, als wollten sie die Stille des Berges nicht stören oder den fallenden Schnee von den Tannen hören. Der junge Mann trug jetzt den Rucksack. Der Himmel wurde blau, über den Felsen trieben Fetzen von Nebel. Er schaute in die Tiefe, zitterte und fragte, „Wie hoch ist dieser Berg?“. Die junge Frau hielt an und erwiderte seinen Blick. „Über 2000 Meter. Ich war hier vor zwei Jahren mit meinen Eltern. Wir kletterten in der Nacht mit Taschenlampen, um die Gefahr nicht zu sehen. Man schaut lieber nicht in den Abgrund. Sonst wird man vor Angst herunterfallen. Schau nur auf jeden Schritt vor dir. Der Schnee gestern war zu unseren Gunsten!“, sagte sie.
Schnell kamen sie zum Fuß des Berges. Beim Vorbeigehen an der Kasse trafen sie die zwei Frauen, die vor der Tür standen und plauderten. Eine schrie, „Kommen Sie einmal wieder zurück! Oben ist es doch schön!“. Die beiden nickten und winkten.
Sie stiegen in den Zug. Der Bahnhofsvorsteher gab ein Zeichen, dass der Zug losfahren könne. Der Zug dampfte und zischte, rollte langsam und beschleunigte. Die Frau wendete sich dem Mann zu, „Ist sie nicht dumm, von oben hinunter zu springen?“, fragte sie und drehte ihren Kopf zum Fenster, mit Tränen in den Augen. Der junge Mann nahm seine Brille ab, wischte sie mit einem Tuch ab und setzte sie wieder auf. Dann faltete er das Tuch sorgfältig und legte es in das Brillenetui. „Ich denke, sie war mutig. Ich glaube, dass dieser Professor niemals gut schlafen kann. „Zu leben ist schwieriger als zu sterben“, murmelte die junge Frau. In der Ferne ragten das Gebirge Huashan bis zum Himmel empor, weiß und heilig.
Anmerkung: Für die Schwester meines Schülers, die vor 30 Jahren wegen Vergewaltigung ihres Professors mit ihrem Freund von der Brücke zwischen den Felsen gesprungen war. Bis heute wurden ihre Leichen nie gefunden und ihre Eltern schweigen immer noch über die Wahrheit.