Ein kurzer Anfang

Sie sagen, der Anfang ist das Ende.  Das Ende ist der neue Anfang.  Zwischen den beiden steht die Erfahrung.  Ich werde nie mein Erlebnis aus dem Kindergarten vergessen, obwohl dieses vom Anfang bis zum Ende eher sechs Stunden dauerte.

“Opa, ich gehe nicht in den Kindergarten!“, sagte ich schluchzend und hielt mich fest an seinen Beinen.  Meine Mutter stand vor mir.  Sie starrte mich eiskalt an und zog mich weg mit Entschlossenheit.  „Das geht nicht. Vater, misch dich nicht ein.  Sie ist schon ein wildes Pferd. Mit drei muss sie lesen lernen“.  Mein Opa war nicht ein Mann, der viel sprach.  Er legte meine Hände in die meiner Mutter und tätschelte mir den Kopf. 

Weinend ging ich mit ihr aus der Tür und sah meinen Opa hilflos an. Mir lief bereits Schleim aus der Nase und meine Tränen kullerten herunter wie ein Wasserfall. Unterwegs quakte die Nachbarin, „Die erste Trennung ist schwer. Morgen wird sie nicht erwarten können, mit den anderen Kleinen zu spielen. Sei brav!“

Als meine Mutter den Kindergarten verließ, waren meine Tränen getrocknet. Der Schleim war auch weg. Regungslos stand ich vor der Tür des Klassenzimmers. Mein Gesicht schmerzte.  Die Erzieherin versuchte mich den anderen Kindern vorzustellen. Aber ich hatte weder Lust noch Laune. Mein ganzer Körper, so wie auch die Seele, waren kälter als Eis. 

Es war Winter. In der Mittle des Raums stand eine Heizungsanlage, geschützt von einem Kreis aus Eisengitter.  Die Wärme zog mich an.  Ich schlich zu dem Gitterzaun.  Als die Erzieherin zu mir kam, kletterte ich auf das Gitter.  Sie schüttelte ihren Kopf und drehte sich zu den anderen Kindern.  Ich schaute zu, was sie unternahmen. Sie waren komisch angezogen. Weiße Lätzchen trugen alle Kinder. Zudem hatten alle zwei Ärmelschützen bis Ellenbogen, wie meine Mutter beim Kochen oder bei der Arbeit. Gefühllos waren ihre Gesichter, als ob sie die gleichen Masken trugen. Lachten sie lautlos oder weinten sie auch schweigsam?  Sie saßen auf kleinen Stühlen, ruhig, gehorsam. Was machten sie da, mit den Händen hinter ihren Rücken?  Sie begannen zu laufen, geräuschlos.  Plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob ich in einer dunklen Hölle wäre. Ich war allein in einem schwarzen Loch. Niemand kam, um mich zu retten. Ich fing an zu heulen. Es sorgte sich keiner um mich.  Die Kinder standen hintereinander und schlängelten sich aus dem Zimmer. Zeit für ein Nickerchen.  Die Ruhe, die tödliche Ruhe, radierte mein Weinen aus.

Ich wollte nach Hause, bei meinem Opa sein, in der frischen Luft laufen, nach Schmetterlingen suchen, Comics lesen, mit den Nachbarskindern Fahrrad fahren, Figuren aus Erde und Wasser formen, oder durch die Blätter des Honigbaums in den Himmel gucken.  In diesem Zimmer fiel mir die Luft schwer zum Atmen. Die Kinder hier waren kleine, leblose Roboter.  Sie folgten dem Befehl wie Soldaten. Ich wollte nach Hause und wollte nie wie sie werden.  Den ganzen Tag lang stand ich da, ohne Essen und Trinken, wie ein elternloser Panther im Käfig. 

Am Nachmittag kam meine Mutter nach ihrem Feierabend. Als sie mit der Erzieherin sprach, seufzte sie. Beim Abendessen ist mein Opa zu Wort gekommen. „Lasst sie zu Hause bleiben.  Kein Kindergarten mehr.“ Dann trank er seinen Schnaps. 

Das war der Anfang meiner farbigen Kindheit.  Ich folgte meinem Opa in meinem blauen Fahrrad wie sein Schatten. Von ihm lernte ich das Schachspiel. Tausende von Comics habe ich gelesen. Auf der von meinem Opa gebauten Schaukel unter dem Honigbaum verbrachte ich die Sommertage. In der Nacht beobachten wir zusammen schweigend den Nachthimmel.  Er schwenkte einen Fächer aus Bambus. Die Brise schaukelte mich zum Palast aus weißem Marmor auf dem Mond.  Assistentin war ich bei meinem Vater, als er unsere Malzeiten vorbereitete. Kräuterpflückerin meiner Mutter war ich beim Fest.  Stundenlang spielte ich mit Zikaden. Seidenraupen habe ich gezüchtet.  Als die Samen zu Motten wurden, war ich schon in der ersten Klasse. Ein neuer Anfang wartete auf mich. 

Foto: www.pixabay.com

Falls Sie einen Rechtschreibfehler finden, teilen Sie uns dies bitte mit, indem Sie den Text auswählen und dann Strg + Eingabetaste drücken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fehlerbericht

Der folgende Text wird anonym an den Autor des Artikels gesendet: