Meine Mutter hält eine schlanke Zigarette in ihrer Hand. Ihr Nagellack hat eine hellrosa Farbe. Das ist ihre Lieblingsfarbe. Die Nägel poliert sie immer rundförmig und lässt sie nicht zu groß wachsen. Sie mag das protzenhafte Aussehen nicht. Sie schaut den Tee mit grübelndem Blick an. Der Zucker ist schon lange geschmolzen, der Tee ist kalt. Sie rührt ihn trotzdem weiter.
Ich betrachte den sich kräuselnden Zigarettenrauch wie er auf den Vorhang schwebt und das kleine Zimmer langsam in Besitz nimmt. Ich streue Zucker auf die Tischdecke und versuche, mit dem Löffelstiel eine Blume in den Zucker zu zeichnen. Meine Mutter schimpft nicht. Ihre linke Hand liegt verbunden auf dem Tisch. Sie blutet nicht mehr.
Heute haben meine Eltern gestritten. Mein Vater hat seine Kleider gepackt und das Haus verlassen. Ich stehe mit meiner Mutter an dem großen Wohnzimmerfenster. Sie weint und schreit meinen Vater nach. Der einzige aber, der sie hört, bin ich. Das Fenster ist zu. Ich sehe das Auto meines Vaters durch das Tor rausfahren. Verzweiflung und Wut flackern in Mutters Augen. Mit einer unerwarteten Bewegung schlägt sie mit der Faust gegen das Fenster. Die kleinen Risse laufen in alle Richtungen. Das Fenster bricht. Ich fange an zu weinen. Unsere Tränen wässern den tiefgrünen Spannteppich.
Die Hand meiner Mutter blutet stark. Die Bluttropfen fallen auf den Boden und schmelzen in dem grünen Teppich. Mutter läuft zu der Schublade und nimmt ein Verbandtuch heraus. Sie bindet ihre Hand und stürmt ins Esszimmer. Ich laufe nach ihr, ergreife die Tür, bevor sie hinter Mutter zufallen würde.
Wir setzen uns an den Tisch und weinen noch einer Weile. Dann lässt die Blutung langsam nach. Ich spüre den salzigen Geschmack der Träne nicht mehr in meinem Mund, der Zigarettenrauch lenkt meine Gedanken ab. Nur der Tee bleibt kalt. Ungemütlich kalt.
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