Mutterkerben

Wenn man vor einem Holzfeuer sitzt und die willkommene Wärme sich umgibt, denkt man nicht an das Brennholz, das den Berg hochgeschleppt werden musste. Man riecht die grüne Melodie des Birkenholz, trinkt ein Glas roten Wein und plappert über den langen kalten Tag draußen. Über den Holzfäller, der die erste Kerbe in dem erwachsenen Baum haute, der sich beim Spanholzhauen einen Splitter in seinem rechten Ringfinger einfing, denkt keiner. Von den langen Wintern, in der die Holzfeuchte abtrocknet, weiß niemand.

So naiv und unwissend ging ich in mein Abenteuer Mutter zu werden. Als ich dreißig wurde, schmachtete ich nach der Wärme einer Familiefeuerstelle. Wenn strahlende Schwangere vorbeiwatschelten. Wenn ein Vater sein lächelndes Kind in die Luft warf. Wenn Urlaubsbilder eine Familie im Einklang zeigten. Das wollte ich. Die biologische Uhr ist ein raffiniertes Werkzeug, das keinen Pieps macht, wenn hetzende Mütter, gestresste Väter oder schreiende Kinder erscheinen.

Die Schwangerschaft lief gut. Wie ein knolliger Schlüssel öffnete der Kugelbauch am Ende der Schwangerschaft vieles : früheren Einlass auf Flohmärkten, besondere Parkplätze, Hilfe wurde ständig angeboten, in der U Bahn kämpften die Leute, um einen Platz frei zu machen, für mich und meinen Bauch. In Geschäften und beim Abendessen wünschten fremde Leute mir stets ‚Alles Gute’. Ich schuf Platz in unserem Kleiderschrank für winzige Babyklamotten. Eine Eselspieluhr grüßte mich aus dem neuen Kindersitz, wenn ich in die Wohnung eintrat. Eine schöne Zeit als ich ,Werdende Mutter‘ war.

Der errechneter Gerburtstermin kam und ging. Der erster Hauch von der Phase: ‚Alles ist anders als ich es mir vorstellte’ Phase. Neun Tage lang stand ich auf und fragte mich, ob heute DER Tag wird. Wie ein Kind an Weihnachten, aber unsicher, wann genau Weihnachten ist.

Endlich stand ich vor dem Eingang zu den Kreißsälen, um eingeleitet zu werden. Riesige Doppeltüren blockierten das Geräusch von Leben und fast Sterben. Verschiedene Schilder und Angebote grabschten nach meiner Aufmerksamkeit , die mal Hoffnung – Wenn das Stillen nicht klappt, fragen Sie uns einfach – oder eine Auszeit – Erleichtert ihre Laune nach der Geburt mit diesem homöopathischen Öl – anbieten. Die andere Art Schilder munkelt darüber, was hinter den Türen passiert:  Gebärende brauchen ihre Ruhe. Bitte LEISE! . Ich lächelte über das Wort ‘gebären’, ein Witz, dass das Wort ‘Bär’ in der Mitte steht. Weil ich mich wie ein Bär fühle? Fünfundzwanzig zugenommene Kilo sind mein Fell. Meine eigene Schuhe kann ich nicht mehr an- und ausziehen. In eine Höhle, diesen Winter durchzuschlummern und danach dünn rauszukriechen, wie ein Bär, will ich auch.

Es heißt jede Geburt ist anders, selbst die ich mir wünschte und die ich erlebte, unterscheiden sich massiv. Nachdem die Wehen eingesetzt hatten, musste ich immer wieder dem Rat der Ärzten nachgeben. Eins, zwei, drei Mal rutschten die Herztöne des Babys runter. Ich bekam jedes Mal eine Spritze mit Adrenalin und fing an zu zittern. Ruhig blieb ich trotzdem. Schließlich strömte eine Bande aus Ärzten, Krankenschwestern, Lehrlingen, eine dritte Hebamme, und der Chefarzt in mein Zimmer. Jetzt wurde gedroht, ‘Sie müssen jetzt dem Kaiserschnitt einwilligen, sonst, beim nächsten Mal, kommt es zum Notkaiserschnitt. Das bedeutet Vollnarkose und Ihr Mann darf nicht dabei sein.’ Ich bewilligte die OP. In weniger als zwanzig Minuten begrüßten mein Mann und ich unsere Tochter. Wenige Minute zum Kennenlernen hatten wir. Ihr erster Blick ein Klang vom Jenseits, den der Ton von der Tiefstimmlage eines Klaviers ausstrahlte. Sie schaute uns prüfend an, als ob wir ihr als Dienstleister geschickt waren und sie eine gnädige Frau mit erlesenen Manieren sei, ‘Also, Ihr seid es, du (nach links schauen) und du (nach rechts schauen) jetzt weiß ich endlich, womit ich zu arbeiten habe“.

Das medizinische Team zerteilte dann meine neue Familie, ich musste genäht werden und wurde zum Aufwachraum verlagert. Mein Mann ging mit der Kleinen zum Wiegen und Anziehen.

Allein und kalt verfiel ich in ein Bett der Trauer. Mein Traum, eine große Familie zu gründen, zerplatzt. Dass meine Kinder die Liebe von Geschwistern kennenlernen – weg. Schmerzen tarnten die neue Liebe für sie. Ich schaffe das alles nicht noch mal. Einmal im Leben reicht.

In der Nacht vermasselte ich das Stillen und rief die Nachtschwester. Sie erklärte mir wieder was zu tun ist, in dem gleichen Ton wie eine Erzieherin einem Kind das Schuhbindens beibringt. ‘Es wird schon’, der Ohrwurm des Tages.

Am nächsten Morgen legte mein Mann mir das eingepuckte Paket, das wir Viviana genannt haben, in meinen Armen. Viviana blickte zu mir auf und ich ertrank in den schwarzen Ozeanen ihrer Augen. Ich lachte. Ein Lachen, das lilane Krokusse lachen, wenn sie sich durch die Erde hochgeschoben haben und die Sonne die seidenen Blütenblätter zum ersten Mal streichelt.

Es sind sechs Jahre und noch ein Sohn dazu her, seitdem ich die erste Lehre meines Mutterseins bekam: mit einem bissl Schlaf wird schon alles. Hinter jedem Urlaubsbild von einer glücklichen Familie am Strand steckt eine Menge Arbeit. Ich vermisse die Glückwünsche von Fremden, die mich jetzt in der U-Bahn eher anmeckern, weil der Kinderwagen zu groß sei, die Kinder zu laut. Jeden Tag muss ich neue Bäume fällen und das Holz den Berg hochschleppen. Jetzt weiß ich, es gehört dazu.

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Foto: www.pixabay.com

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